Der furchtbare Krieg in der Ukraine beschäftigt uns. Die Invasion Russlands bringt seit dem 24. Februar unsagbares Leid über die Menschen und das Land. Hoffnung machen die Solidarität und Hilfsbereitschaft vieler Menschen und Nationen, angesichts des Mordens, der Drohungen, Repressionen und der Gefahr eines dritten Weltkriegs.
Der Krieg öffnet auch die Augen auf unsere Illusionen, Versäumnisse und Fehler. Dazu gehört nicht nur der politische Umgang mit dem Russland Putins. Dazu gehört auch unsere Importabhängigkeit von Gas und Öl, aber auch Weizen und Stickstoff. Und dazu gehört nicht zuletzt der Umgang mit unseren Ressourcen. Sind wir in der Lage, eine ökologische und produktive Landwirtschaft aufzubauen, die Ressourcen schont und Autarkie fördert?
»Die Ukraine gilt als Kornkammer Europas … 32 Millionen Hektar umfasst das gesamte Ackerland dort. Das entspricht einem Drittel der Ackerfläche in der gesamten Europäischen Union. Heute gehört sie zu den zehn weltgrößten Getreideexporteuren dieser Welt. (…) Vor allem Weizen wird dort angebaut,« lese ich von Holger Beckmann, ARD-Studio Brüssel.
»Insgesamt haben beide Länder (Russland, Ukraine; ergänzt vom Verfasser) fast 30 Prozent des Exportvolumens beim Weizen weltweit«, wird Martin Häusling von den Grünen, Agrarpolitiker im Europaparlament, hier zitiert. Und weiter sagt Häusling angesichts der sich abzeichnenden Weizenknappheit und des Weizenpreises: »Wir müssen uns deshalb gut überlegen, ob wir weiterhin 70 Prozent des europäischen Getreides einfach den Schweinen, Hühnern und Kühen vorwerfen. Wahrscheinlich muss man auch da schonender mit den Ressourcen umgehen … und wir müssen über nachhaltige Formen der Landwirtschaft nachdenken und nicht zu sehr auf Importe setzen.«
Das Dilemma
Doch wie kann eine Landwirtschaft nachhaltig und gleichzeitig so effizient sein, dass wir weniger importieren müssen? Die Industrialisierung der Landwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg hat zwar die Produktivität durch den Einsatz moderner Maschinen und Landtechnik erhöht und die Arbeit der Bauern erleichtert. Sie führte aber auch zu Überdüngung, Bodenverdichtung, übermäßigem Einsatz von Herbiziden, Pestiziden und Fungiziden und machte Äcker und Felder durch die Aussaat gentechnisch veränderten Pflanzguts zum Freilandlabor. Die Kollateralschäden kennen wir: Insektensterben, Biodiversitätsrückgang, bleibende Schädigungen der Biosphäre sind einige davon. Und mit dem Produktivitätszuwachs der landwirtschaftlichen Industrialisierung tritt auch die problematische zunehmende Importabhängigkeit offen zutage.
Der Ökologische Landbau bietet sich als Alternative an. Er nimmt bewusst Einbußen in der Produktivität in Kauf, was sich auch auf die Kosten der Lebensmittel auswirkt. Die Frage ist: Können ökonomische und ökologische Aspekte gleichermaßen optimiert werden? Und wenn ja, wie muss ein solches Ökosystem für landwirtschaftliche Prozesse aussehen?
Ökosystem vernetzter Daten und Dienste
Auf der Suche nach einem Paradigmenwechsel kann ein Blick in ein Leitprojekt der Fraunhofer-Gesellschaft helfen, in dem mein Kollege Kevin Bregler, Fachthemenleiter Agrarrobotik der Abteilung Roboter und Assistenzsysteme stark involviert ist. In »Cognitive Agriculture«, kurz »COGNAC«, forschen acht Fraunhofer-Institute daran, landwirtschaftliche Produkte umwelt- und ressourcenschonend und zugleich hocheffizient zu produzieren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen von einem umfassenden Verständnis der Zusammenhänge der Biosphäre aus und wollen mit einer intelligenten Sensorik die landwirtschaftlichen Prozesse erfassen, diese digitalisieren, automatisieren und dadurch die Produktivität optimieren. Das Besondere und Wesentliche dabei: Die Wechselwirkungen zwischen Biosphäre und Produktion werden in dem Ökosystem vernetzter Daten und Dienste einbezogen und dann in einem »›Agricultural Data Space‹ für die Agrarproduktion nutzbar gemacht. Wie eine flexible und intelligente Automatisierung für eine nachhaltige pflanzenspezifische Feldarbeit aussehen kann, zeigt das mobile Robotersystem AMU-Bot. Auch wenn es noch nicht auf dem beschriebenen umfassenden, datengestützten Ökosystem für eine ressourcenschonende und umweltfreundliche Automatisierung der Landwirtschaft basiert, kann es doch ein erster Schritt in diese Richtung sein.
Vollautomatische Entfernung von Unkraut
Unkraut kann man ausreißen, abschneiden, hacken, abflammen oder mit Herbiziden behandeln. Doch gerade in der ökologischen Landwirtschaft und in Baumschulen oder Obstplantagen sind Herbizide heute nicht mehr erwünscht. Das Fraunhofer IPA hat deshalb gemeinsam mit Partnern einen fahrenden Roboter entwickelt, der Unkraut zuverlässig, kostengünstig und umweltfreundlich ohne Einsatz von Chemie entfernt. Das autonome Raupenfahrzeug AMU-Bot – AMU steht für autonome mechanische Unkrautbekämpfung – fährt in der Baumschule zwischen den Reihen an den Gehölzen entlang und entfernt das Unkraut – auch Beikraut genannt – mit Kreiseleggen. Die rotierenden Messer sind an einem höhenverstellbaren Manipulator befestigt. Am Ende der Baumreihe wendet das Raupenfahrzeug und biegt selbstständig in die nächste Baumreihe ein.
Auch das Beikraut, das zwischen den Pflanzen wächst, verschont der Roboter nicht. Dazu fährt der Manipulator in die Pflanzenzwischenräume ein und eggt es aus der Erde. Dort bleibt es auf dem Boden liegen und vertrocknet. AMU-Bot bewegt sich dank Raupenantrieb sehr stabil und sicher. Auch Grablöcher, wie sie in einer Baumschule vorkommen, wenn eine Pflanze entnommen wird, beeinträchtigen sein Fortkommen nicht. Kreiseleggen, wie sie dem Roboter zum Ausgraben des Beikrauts dienen, bewährten sich in der Landwirtschaft auch zur Auflockerung des Bodens vor dem Aussäen. Die AMU-Bot-Plattform ist wirtschaftlich, robust, einfach zu bedienen und gleichzeitig hocheffizient.
Bewusst einfache Lösung
Zur Navigation setzt unser Projektteam um Kevin Bregler optische Sensoren ein. Die darin verbauten LIDAR-Scanner (Light Detection and Ranging) senden während der Fahrt kontinuierlich Laserimpulse aus, die von den Objekten in der Umgebung reflektiert werden. Aus den unterschiedlichen Laufzeiten berechnen sich die Entfernungen. Auf diese Weise entsteht eine 3D-Punktewolke der Umgebung. Das Robotersystem nutzt diese, um seinen Weg zu finden und die Position von Pflanzen oder Bäumen zu erkennen. AMU-Bot erkennt so Nutzpflanzen wie Bäume und Büsche in den Reihen der Baumschulkulturen. Außerdem werden die Abstände zwischen den einzelnen Nutzpflanzen ermittelt, um auf Basis dieser Informationen die Beikräuter entfernen zu können.
Ich bin der Überzeugung, dass der skizzierte Weg zu einer nachhaltigen und effizienten Landwirtschaft führen kann, die Ressourcen schont und (import-)unabhängiger macht. Der Ukraine wünsche ich, dass das unsinnige Blutvergießen ein Ende hat und sie frei und eigenständig existieren kann!
Ich halte Sie auf dem Laufenden, wie es mit dem Projekt »COGNAC« weitergeht. Wenn Sie sich für AMU-Bot interessieren, nehmen Sie gerne mit unserem Experten Kevin Bregler Kontakt auf!