WowWowSkin: Hundehaut-Modell ermöglicht Produkttestung ohne Tierversuche

Von Medikamenten bis Hundeshampoos: Um die Wirkung und Verträglichkeit von Therapeutika und Pflegemitteln sicherzustellen, müssen diese vorab getestet werden. Am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB wurde eine neue Methode entwickelt, mit der Testungen zuverlässig durchgeführt und gleichzeitig umstrittene Tierversuche vermieden werden können. Das hierzu entwickelte Hundehaut-Äquivalent reagiert wie echte Hundehaut und ermöglicht dadurch eine präzise Testung – ohne Versuche an echten Tieren durchführen zu müssen.

Probleme des Tierarzneimittelmarkts: Fehlende Testungen und falsche Produkte

Hunde haben, auch wenn sie robust wirken, eine überdurchschnittliche Veranlagung für Hautkrankheiten. So erkranken etwa 10 bis 15 Prozent der Tiere an der sogenannten atopischen Dermatitis, einer Form der Neurodermitis. Mit unangenehmen Folgen für die Vierbeiner: Die Haut wird trocken und schuppig, die Tiere beginnen sich zu kratzen, häufig treten Entzündungen auf. Zwar gibt es Cremes und Salben dagegen, doch der Behandlungserfolg ist ungewiss. Die Therapeutika bleiben unter Umständen wirkungslos und können im schlimmsten Fall die Symptome noch verschlechtern. Auch Pflegeprodukte wie Shampoos oder Seifen können im Fall einer Unverträglichkeit der Hundehaut schaden. Denn die oberste Schutzschicht der Haut, die Epidermis, ist bei Hunden deutlich dünner als bei Menschen und verhornt kaum.

Die Haut von Hunden ist empfindlich. Mit dem Hundehaut-Äquivalent aus dem Labor lassen sich Therapeutika und Pflegeprodukte auf Wirksamkeit und Verträglichkeit testen. Quelle: privat

Ein Problem ist, dass der Markt für Tierarzneimittel im Vergleich zur Humanmedizin wenig reguliert ist. Das führt dazu, dass medizinische Therapeutika auch ohne vorherige Testung auf deren Wirksamkeit eingesetzt werden. Oft haben sie nur einen minimalen oder keinen evaluierten Nutzen. Zudem werden häufig für Menschen gedachte Therapeutika auch für Tiere eingesetzt, obwohl sich die Pharmakodynamik und die toxikologischen Wirkungen je nach Spezies zum Teil stark unterscheiden. Wichtig ist daher nicht nur, dass eine vorherige Testung stattfindet, sondern auch, dass sie speziesspezifisch durchgeführt wird.

Nahezu identisch zu echter Hundehaut: Vorteile der Hundehaut-Modelle

Um die Wirksamkeits- und Risikobewertung von Veterinärtherapeutika speziesspezifisch zu testen und gleichzeitig umstrittene Tierversuche zu vermeiden, können sogenannte In‑vitro‑Testmethoden eingesetzt werden. Diese erfordern, im Gegensatz zu Untersuchungen »in vivo«, keine lebenden Organismen. »In vitro« bedeutet, wörtlich übersetzt, »im (Reagenz-)Glas« und beschreibt physiologische Reaktionen und Vorgänge, die außerhalb des lebenden Organismus stattfinden. Damit diese Reaktionen im Falle der Testungen auch aussagekräftig sind, werden für die In-vitro-Tests möglichst körpereigene physiologische Bedingungen geschaffen und lebende Zellen im Labor in einer Zellkulturschale mit geeignetem Nährmedium vermehrt.

Unser Projekt WowWowSkin am Fraunhofer IGB hatte genau das zum Ziel: Ich wollte mit meinem Team ein reproduzierbares Hundehaut-Äquivalent etablieren, das spezifische Tests von therapeutischen Produkten und Fellpflegemitteln für Hunde ermöglicht. Denn das gab es bis dahin noch nicht.

Histologische Schnitte von Hundehaut (oben links) und humaner Haut (oben rechts) zeigen, dass die Epidermis beim Hund dünner ist und kaum verhornt. Die Mikroskopaufnahmen in vitro kultivierter Hautäquivalente (unten) zeigen, dass die Hundehaut aus dem Labor (unten links) vom Original morphologisch praktisch nicht zu unterscheiden ist. Quelle: Fraunhofer IGB

Mit Erfolg: Unser entwickeltes Hundehaut-Äquivalent ist mit echter Hundehaut nahezu identisch, sodass aussagekräftige und präzise Tests von medizinischen Wirkstoffen und Pflegeprodukten wie Shampoos oder Seifen durchgeführt werden können. Um das Modell aufzubauen, haben wir primäre Zellen aus Hundehaut-Biopsien isoliert, diese immortalisiert und daraus Hunde-Vollhautäquivalente aufgebaut.

Arbeitsablauf: Isolierung primärer Zellen aus Hundehaut-Biopsaten, Immortalisierung und Etablierung caniner 3D-In-vitro-Hautäquivalente Quelle: Fraunhofer IGB (erstellt mit BioRender.com)

Die Isolierung primärer Zellen und ihre Immortalisierung sowie die Etablierung von In‑vitro‑Hautmodellen wird bereits seit Jahrzehnten in unserer Abteilung Zell- und Gewebetechnologien  mit humanem Material durchgeführt. Auf Grundlage der vorhandenen Expertise wurden wesentliche Arbeitsschritte auf die Isolierung primärer Zellen aus Gewebeproben von Hunden adaptiert und optimiert. So konnten wir erfolgreich canine In-vitro-Epidermis-, In-vitro-Dermis- und In-vitro-Vollhaut-Modelle herstellen. Die Testung von Wirkstoffen kann damit jederzeit schnell, einfach und reproduzierbar durchgeführt werden.

Zuverlässige Testung ohne Tierversuche: Barrierewirkung, Hautreizung, Entzündung

Die Hunde-Vollhautäquivalente können In-vivo-Untersuchungen ersetzen und sind für verschiedene Arten der Wirkstoffapplikation geeignet. So kann überprüft werden, ob Substanzen die als Hautbarriere fungierende Hornschicht durchdringen und in die tieferen Hautschichten penetrieren können. Ebenso sind die Modelle beispielsweise in der Lage, genau und reproduzierbar Substanzen zu identifizieren, die typische pathologische Hautzustände, wie beispielsweise Hautreizungen, verursachen.

Um medizinische Therapeutika, etwa zur Behandlung von Dermatitis, zu testen, kann ein Krankheitsmodell generiert werden, anhand dessen es möglich ist, die Wirkung verschiedener Medikamente zu überprüfen. Entzündliche Prozesse können auf den Hautäquivalenten nachgestellt werden. Beim Aufbringen der Testsubstanzen zeigt sich dann schnell, ob das Medikament anti-entzündlich wirkt oder auch einer Verkeimung entgegenwirkt, ob es wirkungslos bleibt oder ob es das Krankheitsbild sogar verschlimmert.

Im nächsten Schritt wollen wir weitere Vollhaut-Äquivalente differenziert nach Hunderassen aufbauen. Zudem sollen weitere Hautmodelle für Pferde und Katzen entwickelt werden.

Die entwickelten Modelle stellen damit einen bedeutenden Fortschritt für die Testung verschiedener Wirkstoffe dar. Die Hundehaut-Äquivalente bieten eine präzise und ethisch vertretbare Methode, um Veterinärtherapeutika und Pflegeprodukte zu testen, ohne auf Tierversuche angewiesen zu sein. Das ist auch vor dem Hintergrund entscheidend, dass seit 2013 für Kosmetika, die neu auf den Markt kommen, ein EU-Verbot für Tierversuche gilt. Die Modelle tragen damit entscheidend dazu bei, die Gesundheitsversorgung der Tiere weiter zu verbessern.

Fraunhofer IGB – Ihr Partner für Entwicklung und Anwendung von In-vitro-Testsystemen

Die Abteilung Zell- und Gewebetechnologien steht als erfahrener Forschungs- und Entwicklungspartner für Kunden aus dem Medizin- und Veterinärmedizinbereich für Anfragen bereit. Wenn Sie also in Ihrer Arbeit oder Forschung Anwendungsmöglichkeiten für In-vitro-Testsysteme sehen – zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir führen die Testungen von Veterinärpharmazeutika und Hundefell-Pflegemitteln in unseren Labors für Sie durch und untersuchen für Sie Fragestellungen zur transdermalen Wirkstoffabgabe und zur Hautpenetration ebenso wie zur Wirkungsweise von Wirkstoffen.

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