Solarstrom und Trester sind nötig, um Wasserstoff produzieren können

Wasserstoff aus der Saftfabrik durch Purpurbakterien mittels »Dunkel-Photosynthese«!

Die biogene Wasserstoffproduktion aus Lebensmittelreststoffströmen in Form von Frucht- und Gemüsesaftresten kann einen wichtigen Beitrag zu Energiewende liefern. In Deutschland fallen jedes Jahr riesige Mengen an Frucht- und Gemüse(saft)abfällen an – allein in der Saftfabrik unseres Kooperationspartners ca. 700 Tonnen pro Jahr! Das muss man mal auf alle Betriebe in Baden-Württemberg und Deutschland hochrechnen!

Der Trester aus der Saftproduktion enthält immer noch viele wertvolle Inhaltstoffe, die weiterverwertet werden können. Oft wird der Trester an Landwirte abgegeben, die ihn unterpflügen, um ihre Felder zu düngen. Aber vor allem während der Erntesaison im Herbst sind die Trestermengen einfach zu groß – und letzten Endes muss dieser wertvolle Rohstoff teuer entsorgt werden.

Trester liefert Nährsubstrat für »Dunkel-Photosynthese«

Hier setzt unser Projekt an: Wir extrahieren die wertvollen Inhaltsstoffe aus dem Trester und verwenden sie als Nährsubstrat für die bakterielle Produktion von Wasserstoff und anderen hochwertigen Produkten.

Der Clou: Das Purpurbakterium Rhodospirillum rubrum macht »photosynthetischen Wasserstoff« im Dunkeln!

Dunkel-Photosynthese
Abb. 1: Mit R. rubrum kann das photosynthetische Wasserstoff-Produktionspotenzial im Dunkeln eingeschaltet werden (in dem speziellen »Dunkel-Photosynthese«-Nährmedium M2SF [1]). (Quelle: R. Ghosh, C. Autenrieth: Fokusheft [2])

Photosynthetischer Stoffwechsel für die Energieproduktion – aber im Dunkeln

Alle photosynthetischen Mikroorganismen haben die Fähigkeit, Wasserstoff in großen Mengen zu produzieren – es ist ein Sicherheitsventil, wenn sie zu viel Licht haben. Allerdings ist eine Hoch-Skalierung von Photobioreaktoren zu Kulturgrößen, die für die Energieproduktion erforderlich wären, nahezu unmöglich.

Unser Bakterium braucht für dieselben Wasserstoffproduktions-Vorgänge kein Licht – stattdessen verwendet es chemische Energie aus den Nährsubstraten (hauptsächlich Fruchtzucker) aus dem Trester. Da der Prozess im Dunkeln läuft, kann er beliebig hochskaliert werden.

Technologie-Plattform »Purple Biotechnology« für industrielle Anwendungen

Genau das machen wir nun: in meinem Forschungsfeld am Fraunhofer IPA soll unter Leitung von Prof. Dr. Alexander Sauer die IPA-Leuchtturm-Technologie-Plattform »Purple Biotechnology« etabliert werden, welche die besonderen Eigenschaften des Purpurbakteriums R. rubrum nutzt, um eine Vielfalt von industriellen Anwendungen zu ermöglichen, darunter auch die Produktion von H2 in großem Stil aus Fruchtsafttrester! Dabei stützen wir uns auf eine synthetisch-biologische R. rubrum-Plattform, die wir, d. h. Prof. Dr. Robin Ghosh und ich, an der Universität Stuttgart im Rahmen verschiedener BMBF- und BMWK-geförderter Projekte in den letzten zwanzig Jahren aufgebaut haben. Wir arbeiten auch eng mit unserem langjährigen Partner von der Hochschule Biberach, Prof. Dr. Hartmut Grammel, zusammen, der ein High-Cell-Density-Verfahren für R. rubrum entwickelt hat, mit dem optische Dichten von 150 (!) erreicht werden können [3] – also die Zelldichte der besten bislang verwendeten industriellen Prozesse mit herkömmlichen Escherichia-coli-Fermentationen. Vor ca. drei Jahren ist auch das Fraunhofer IGB auf unsere Technologie aufmerksam geworden und als Spin-off konnten wir im gemeinsamen EFRE-geförderten SmartBioH2-BW-Projekt [4] die Eigenschaft von R. rubrum ausnützen, dass es auch leicht an lösungsmittelhaltige industrielle Waschwässer angepasst werden kann.

Am IPA stehen jetzt eine Reihe von optimierten R. rubrum-Stämmen, die von uns mit gentechnischen, synthetisch-biologischen Methoden hergestellt worden sind, zur Verfügung. Sie können für eine Bandbreite von Industrie-relevanten Biotechnologien eingesetzt werden:

»Purple Biotechnology«-Plattform
Abb. 2: Die Rhodospirillum rubrum »Purple Biotechnology«-Plattform bietet vielfältige Anwendungsmöglichkeiten.
(Quelle: R. Ghosh, C. Autenrieth: Fraunhofer IPA)

Praxistest in der 100-l-Bio-H2-Produktionsanlage

In dem hier beschriebenen Projekt haben wir die Herausforderung angenommen zu zeigen, dass unsere Technologie, die im Labormaßstab perfekt funktioniert [5], auch den »Praxistest« draußen besteht: Seit Anfang des Jahres läuft nun das BMWK-geförderte RhoTech2-Projekt, wo wir auf dem Gelände eines regionalen Fruchtsaftbetriebes (Firma Bayer Gemüse- und Fruchtsaft GmbH) eine 100-l-Bio-H2-Produktionsanlage aufbauen werden, die Energie- und Stoff-autark arbeiten soll:

Solarstrom und Trester sind nötig, um Wasserstoff produzieren können
Abb. 3: Die Energie für den Betrieb der Wasserstoff-Produktionsanlage auf dem Gelände einer Saftfabrik soll aus Solarstrom kommen und die Nährsubstrate (chemische Energie!) aus dem Abfallstoff Frucht-Trester.
(Quelle: R. Ghosh, C. Autenrieth: Fokusheft [2])
Mittels »Dunkel-Photosynthese« wird dabei nicht nur Bio-Wasserstoff produziert, sondern auch weitere hochwertige (Neben-)Produkte, wie z. B. CO2 (für die Lebensmittelindustrie: Sprudel, Bier …) und Carotinoide (als Nutriceuticals).

RhoTech2-Wasserstoff-Produktionsprozess
Abb. 4: Übersicht über unseren RhoTech2-Wasserstoff-Produktionsprozess. (Quelle: R. Ghosh, C. Autenrieth: Fokusheft [2])

Medizinisch-/pharmazeutischen Purpurbakterien-Stämme für die Industrie

Doch damit nicht genug: wir haben in den letzten Jahren alle genetischen Tools entwickelt, um (wie oben bereits erwähnt) R. rubrum auch für die Produktion anderer, medizinisch relevanter Produkte, wie z. B. Impfstoffe, Häm-Proteine (Blut-Ersatz), usw. zu modifizieren. Solche GMO-Stämme werden selbstverständlich nicht auf dem Gelände des Bio-Saftbetriebes eingesetzt, wo wir nur mit Wild-Typ-R.-rubrum-Stämmen (die also nicht genetisch modifiziert sind) arbeiten.

Die medizinisch-/pharmazeutischen Stämme werden Stämme für die (Groß-)Industrie sein, wo ebenfalls mithilfe von »Dunkel-Photosynthese« die weltweit erste »Purple Biotechnology« Plattform entstehen soll!

Fraunhofer-Campus lädt zum Tag der offenen Tür

 

Anlässlich des dritten Stuttgarter Wissenschaftsfestivals lädt das Fraunhofer-Institutszentrum in Stuttgart-Vaihingen am 19. Oktober 2024 zum Tag der offenen Tür. Alle fünf ansässigen Institute haben dafür ein buntes Programm mit Exponaten, Info-Stationen, Mitmach-Aktionen, Führungen und Vorträgen vorbereitet. Los geht’s um 13 Uhr.

 

Sie interessieren sich für das große Potenzial des kleinen Purpurbakteriums? Kommen Sie zu meiner Station! Dort erfahren Sie, wie genau aus Biomasse Wasserstoff produziert wird und dabei CO2 abgeschieden und langfristig gespeichert wird, und wie im gleichen Prozess auch noch hochwertige Stoffe für die Lebensmittel- und Pharmaindustrie (z. B. Carotinoide) hergestellt werden.

Kooperationspartner

Das RhoTech-Konsortium (Start Januar 2020):

  • Universität Stuttgart: AG Ghosh (bis März 2024: Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme (IBBS); ab April 2024: Institut für Energieeffizienz in der Produktion (EEP)) und AG Sauer (EEP)
  • Hochschule Biberach: AG Grammel
  • Fraunhofer IPA: AG Sauer
  • KE-Technologie GmbH, Stuttgart

Neuer, zusätzlicher Partner im RhoTech2-Projekt (Start Januar 2024):

  • Bayer Gemüse- und Fruchtsaft GmbH, Ditzingen

SmartBioH2-BW (Start November 2021):

  • Fraunhofer IGB
  • Fraunhofer IPA
  • Universität Stuttgart
  • Evonik (assoziierter Partner)

Referenzen und weiterführende Links

[1] Ghosh, R., Hardmeyer, A., Thoenen, I., and Bachofen, R. (1994) Appl. Environ. Microbiol., 60, 1698-1700. Optimization of the Sistrom culture medium for large-scale batch cultivation of Rhodospirillum rubrum under semiaerobic conditions with maximal yield of photosynthetic membranes.

[2] Autenrieth, C., and Ghosh, R. (2023) in: Thrän D., Händler T. (Hrsg.): Focus on: Bioenergie im Strom- und Wärmemarkt: Projektergebnisse 2021-2022. Fokusheft Energetische Biomassenutzung, Leipzig, ISSN (online): 2701-1860, ISBN: 978-3-946629-94-8, DOI: 10.48480/hvyq-3t55. S.154-161: RhoTech: Neue Strategie zur Wasserstoff-Produktion aus Frucht- und Molkerei-Abfällen mit Hilfe von Purpurbakterien.

[3] Zeiger, L., H. Grammel. (2010) Biotechnol. Bioeng. 105, 729-739. Model-based high cell density cultivation of Rhodospirillum rubrum under respiratory dark conditions.

[4] Projekt SmartBioH2-BW: https://www.igb.fraunhofer.de/de/referenzprojekte/smartbioh2-bw.html

[5] Autenrieth, C., Shaw, S., and Ghosh, R. (2021) Metabolites 11, 667. New approach for the construction and calibration of gas-tight setups for biohydrogen production at the small laboratory scale.

[6] BMWi-Forschungsnetzwerk Bioenergie (2021): Stellungnahme: Biomasse und Bioenergie als Teil der Wasserstoffwirtschaft. Autenrieth, C.: Autorin der Kapitel „Biophotolyse“ und „Dunkelphotosynthese“ (S.25-28)

URL: https://www.energetische-biomassenutzung.de/de/node/72

[7] Video „Bioenergieköpfe“: https://www.youtube.com/watch?v=WGU3m5CW4hs

[8] SWR-Interview: https://www.swr.de/wissen/biooekonomie-neues-verfahren-herstellung-wasserstoff-aus-bioabfall-100.html

https://www.swr.de/swraktuell/radio/wasserstoff-produzieren-mit-wenig-energie-machen-purpurbakterien-es-moeglich-100.html

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