Bioraffinerien – das Zugpferd der biointelligenten Kreislaufwirtschaft

Bioraffinerien verwenden anstelle von fossilen Rohstoffen wie Erdöl organische Materialien, im Allgemeinen als Biomasse bezeichnet, und wandeln sie in wertvolle Produkte um. Die Idee ist relativ einfach: Organische Materialien enthalten chemische Bausteine, die zur Synthese wertvoller Produkte verwendet werden können, von denen viele derzeit aus fossilen Rohstoffen gewonnen werden. Einige Beispiele hierfür sind Klebstoffe, Reinigungsmittel, Waschmittel, Farbstoffe, Schmiermittel, Farben, Beschichtungen, Lösungsmittel und Kraftstoffe. Wenn organische Reststoffe als Ausgangsmaterial verwendet werden, unterstützten Bioraffinerien direkt die Kreislaufwirtschaft, indem sie den Kreislauf der Ressourcennutzung schließen und das, was sonst Abfall wäre, in wertvolle Rohstoffe für neue Produktionszyklen verwandeln. Darüber hinaus spielen Bioraffinerien durch die Verwendung erneuerbarer Ressourcen anstelle von fossilen Ressourcen eine entscheidende Rolle beim Übergang zu einer nachhaltigen und kreislauforientierten Wirtschaft.

Die Bedeutung von Bioraffinerien geht über den ökologischen Nutzen hinaus. Wirtschaftlich gesehen bieten sie Chancen für Innovation und schaffen Arbeitsplätze in ländlichen Gebieten, in denen Biomasseressourcen im großen Mengen vorhanden sind. Gesellschaftlich gesehen tragen sie zur Energieunabhängigkeit und -sicherheit bei, indem sie die Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen verringern. Darüber hinaus können Bioraffinerien, wenn sie entsprechend konzipiert sind, mit den Grundsätzen der grünen Chemie in Einklang gebracht werden, indem Abfälle minimiert und umweltfreundlichere Verfahren eingesetzt werden. Für die Bewältigung globaler Herausforderungen wie Klimawandel und Ressourcenverknappung sind solche Ansätze unerlässlich.

Wie nachhaltig sind Bioraffinerien?

So vielversprechend das Konzept der Bioraffinerien auch klingen mag, die ökologischen und wirtschaftlichen Vorteile sollten nicht als selbstverständlich angesehen werden. Selbst wenn erneuerbare Ressourcen verwendet werden, können die Gesamtumweltauswirkungen eines bestimmten Bioraffineriekonzepts höher sein als die einer vergleichbaren petrochemischen Raffinerie. Darüber hinaus ist Nachhaltigkeit mehrdimensional und bezieht sich auf mehrere Faktoren und Parameter, die sich nicht ohne weiteres mit einem einzigen Indikator quantifizieren lassen. Eine gute Leistung in einem Bereich kann durch eine schlechte Leistung in einem anderen Bereich ausgeglichen werden, was den Gesamtvorteil einer Bioraffinerie beeinträchtigt. So kann ein bestimmtes Bioraffineriekonzept beispielsweise hervorragend zur Verringerung der Treibhausgasemissionen beitragen, aber auch einen erheblichen Beitrag zur Erschöpfung der Wasserressourcen oder zur Verschlechterung der Bodenqualität leisten.

Die Vorhersage der ökologischen und wirtschaftlichen Leistung von Bioraffineriekonzepten ist entscheidend für ihre Entwicklung und Umsetzung. Im Allgemeinen sollten die Umweltauswirkungen so gering wie möglich sein, und gleichzeitig sollten hohe Gewinne erzielt und soziale Probleme wie Ernährungsunsicherheit oder Wasserknappheit vermieden werden. Die Durchführung einer solchen Bewertung kann jedoch aufgrund der zahlreichen Unbekannten, die in der Regel in den frühen Phasen der Prozessentwicklung vorhanden sind, eine besondere Herausforderung darstellen. Beispielsweise sind die in Bioraffinerien eingesetzten Technologien in der Regel neu und wurden noch nicht in großem Maßstab getestet, so dass keine zuverlässigen Daten zu Ausbeute und Produktivität des Prozesses vorliegen. Dies führt zu großen Unsicherheiten bei der Abschätzung des ökologischen und wirtschaftlichen Potenzials eines bestimmten Bioraffineriekonzepts und behindert dessen Umsetzung. Hier können Ansätze wie die Prozessmodellierung in Verbindung mit einer Ökobilanz dazu beitragen, einige dieser Wissenslücken zu schließen und eine erste Schätzung des Potenzials einer Bioraffinerie zu liefern.

Modellierung und Bewertung von Bioraffinerie-Konzepte

Ziel des Projekts SmartBioH2-BW war die Entwicklung und Umsetzung eines Bioraffineriekonzepts, das organische Abfall- und industrielle Reststoffströme zur Erzeugung von Wasserstoff und anderen Wertprodukten nutzt. Das Konzept wurde am Produktionsstandort des Spezialchemieherstellers Evonik GmbH in Rheinfelden, Baden-Württemberg, umgesetzt. Die Hauptprozesse der Bioraffinerie bestehen aus einer so genannten „dunklen Photosynthese“ mit dem Purpurbakterium Rhodospirillum rubrum und einem Umwandlungsschritt mit Mikroalgen in einem Photobioreaktor (schauen Sie sich unsere frühere Beiträge an, um mehr über das Bioraffineriekonzept und die verwendeten Technologien zu erfahren:  https://www.biointelligenz.de/biointelligente-chemie/biobasierte-wasserstoffherstellung-mit-mikroalgen-im-projekt-smartbioh2/; https://www.biointelligenz.de/biointelligente-chemie/von-spuelwasser-zu-wasserstoff-entfaltung-von-upcycling-potenzialen-in-der-chemischen-industrie-durch-die-mikroaerobe-fermentation-mit-purpurbakterien-im-projekt-smartbioh2/.)

Um das Umweltpotenzial der Bioraffinerie zu bewerten, haben wir am Fraunhofer IPA und am Institut für Energieeffizienz in der Produktion der Universität Stuttgart ein Prozessmodell des gesamten Bioraffineriekonzepts erstellt. Dieses Modell basiert auf experimentellen Daten und nutzt verschiedene thermodynamische Modelle, um die Stoff- und Energieflüsse in dem großtechnischen Konzept vorherzusagen. Die Thermodynamik regelt die grundlegenden Wechselwirkungen der Materie auf molekularer Ebene. Sie bestimmt, wie sich Chemikalien in einem bestimmten System verhalten und miteinander interagieren und wie sich dieses System aufgrund dieser Interaktionen entwickelt. Ein Modell ist somit ein Rahmen, der die Regeln dafür festlegt, wie alle Komponenten im Bioraffineriesystem interagieren und wie sie sich im Laufe der Zeit je nach den verwendeten Prozessparametern verändern werden. So entsteht ein Bild aller Material- und Energieströme innerhalb des Bioraffineriesystems, das es den Forschern ermöglicht, das System besser zu steuern und entsprechend den gesetzten Zielen zu verändern (z. B. Maximierung der Produktausbeute, Minimierung des Energieverbrauchs usw.). Die Ergebnisse dieser Modelle wurden zur Durchführung einer Lebenszyklusanalyse verwendet, in der die Umweltauswirkungen der implementierten Bioraffinerie anhand verschiedener Indikatoren wie Klimawandel, Wasserverbrauch, Eutrophierungspotenzial und Erschöpfung der fossilen Ressourcen geschätzt wurden.

Dank dieser Modelle konnten wir kritische Prozessschritte und Parameter identifizieren, die sich erheblich auf die wirtschaftliche Machbarkeit und Nachhaltigkeit des Prozesses auswirken. Im Fall der SmartBioH2-Bioraffinerie zeigte der Ansatz beispielsweise, dass das für den Umwandlungsschritt mit R. rubrum verwendete Nährmedium optimiert werden muss, um die mit seiner Herstellung verbundenen Auswirkungen zu verringern. Es zeigte auch, dass die Integration von Energie aus anderen Prozessen innerhalb der Anlage notwendig ist, um die Energieeffizienz des Konzepts zu erhöhen. Das Modell erwies sich als hilfreich für die Entwicklung und Umsetzung des Bioraffineriekonzepts, da es eine Schätzung der Substratnutzung, der Produktausbeute, des Energiebedarfs und anderer wichtiger Parameter liefert, die sich direkt auf die ökologische und wirtschaftliche Leistung der Bioraffinerie auswirken. Dies zeigt, wie sinnvoll es ist, bereits in einem frühen Stadium des Entwicklungsprozesses von Bioraffinerien solche Bewertungsinstrumente einzusetzen.

Stay tuned! Wir am Fraunhofer IPA entwickeln die Plattform der „Dunkel-Photosynthese“ weiter. Wir forschen daran, diese Technologie zu einer verwertbaren Option für die Nutzung organischer Reststoffe weiterzuentwickeln, einschließlich ihrer Integration in verschiedene Bioraffinerie-Optionen. Die Möglichkeiten sind vielfältig!

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