Vor kurzem haben wir noch bei den Olympischen Spielen mitgefiebert. Rein physisch natürlich kaum zu unterscheiden, haben wir Wissenschaftler mit den Athleten aber vor allem eines gemeinsam: Wir streben nach Perfektion. So auch in der Herstellung von Polymeren, der Basis von Kunststoffen. Hier konkurrieren jedoch unterschiedliche Ansätze: Stellen wir sie synthetisch auf Erdölbasis her, biologisch auf Grundlage von nachwachsenden Rohstoffen oder sogar aus organischen Rest- und Abfallstoffen? Auf jeden Fall verspricht es ein spannendes Rennen mit offenem Ausgang.
Die Plätze auf dem Treppchen in der Kunststoffdisziplin waren bis vor Kurzem noch für die erdölbasierten Polymere reserviert. Unerwartet ist aber durch das Comeback der Biopolymere ein Zweikampf um die Medaillen entbrannt. Am Ende sind aber beide doch im selben Zukunftsteam, in dem komplementäre Fähigkeiten und unterschiedliche Eigenschaften gebraucht werden, um Höchstleistungen zu erbringen.
Das Comeback der Biopolymere
Begonnen hat alles in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts mit der Erfindung des Polyethylens und des Nylons [1]. Mit diesen erdölbasierten Polymeren begann die unvergleichliche Siegesserie eines ganzen Industriezweiges, welche bis heute anhält. Gleichzeitig sind Biopolymere, wie Proteine oder Polysaccharide, die aus natürlichen Quellen gewonnen wurden, etwas ins Abseits getreten. Wurden die Biopolymere jahrhundertelang z. B. als Klebstoffe eingesetzt, so wurden diese in relativ kurzer Zeit durch erdölbasierte Polymere ersetzt. »Überteuert« oder »bringen nix«, »zu wenig funktionell« hieß es lange Zeit. Die Totgeglaubten feiern derzeit aber ein Comeback und es werden viele Ressourcen darauf verwendet, die Biopolymere in verschiedensten Anwendungen wiedereinzusetzen.
Wie kommt´s?
Neben den erfreulichen Entwicklungen und den Annehmlichkeiten für die Menschheit, die es unbestreitbar gibt, treten nach und nach die Schattenseiten der synthetischen Polymerchemie zutage: Fossile Quellen werden erschöpft, während Produktion und nach Gebrauch entstehen durch Verbrennung der nicht-abbaubaren Kunststoffe vermehrt CO2-Emissionen oder die Produkte landen oft als Müll in den Meeren. Diese Nachteile sind es, die das Comeback der Biopolymere und die Entwicklung neuer bioabbaubarer Polymere vorantreiben. Und was hat sich jetzt geändert, wenn man bedenkt, dass über 90 Prozent der Polymere immer noch erdölbasiert sind [1]? Erstmal gar nicht so viel, aber aufgrund des Klimawandels und dem gestiegenen Umweltbewusstsein, sind zumindest die Motivation und der Wille stark gewachsen. Und das sind natürlich die Grundvoraussetzungen, um besser zu werden. Und die Qualitäten der Biopolymere bestechen zunächst einmal: Diese werden aus (lokalen) nachwachsenden Rohstoffen gewonnen, sind zumeist bioabbaubar sowie biokompatibel und können CO2-neutral hergestellt werden.
Ein Steckbrief von zwei Biopolymeren
Unbeachtet fristeten jedoch viele Biopolymere jahrelang ein Dasein im Schatten der »Stars« aus Erdöl und waren Mitläufer mit vermeintlich bescheidenen Qualitäten, die auf ihren Durchbruch warteten. So wird z. B. an Polyhydroxyalkanoaten (PHA) schon seit den 80ern geforscht, zu olympischen Ehren ist man bisher aber noch nicht gekommen. Potenzial ist aber da: Bakterien stellen das PHA aus verschiedenen lokalen Roh- und Reststoffen, wie z. B. Melasse, immer dann her, wenn es ihnen an Nährstoffen mangelt. Zusammensetzung und Eigenschaften des Polymers lassen sich anpassen, wenn man während des Prozesses kleine Bausteine zugibt, die von dem Bakterium eingebaut werden. So kann man z. B. Eigenschaften des PHAs erhalten, die von superspröde bis wachsweich (s. Abbildung 1) reichen. Ein Allrounder also.
Oder nehmen wir Chitosan. Das stickstoffhaltige Polymer hat nachweislich antibakterielle Eigenschaften, was es für den medizinischen Einsatz qualifiziert. Trotzdem ist der industrielle Einsatz auf wenige Anwendungen beschränkt. Dabei kommt es in den Zellwänden von Pilzen, in den Schalen von Meerestieren und den Exoskeletten der Insekten vor. So kann es vollständig aus Reststoffen gewonnen werden: bei der Enzymherstellung mit Pilzen, der Produktion von Meeresfrüchten oder der Herstellung von Insektenprotein. Zudem ist es leicht modifizierbar, womit komplett neue Eigenschaften erhalten werden können. Flexibel einsetzbar also!
Das alleine ist natürlich noch keinen Einsatz in der Startelf wert. Die zwei Beispiele zeigen aber, welches Potenzial in den Biopolymeren steckt und welche Variabilität auch bei vielen anderen Eigenschaften erreicht werden kann. Das Scouting-Team der Wissenschaft leistet auch ganze Arbeit: Es werden immer mehr neue Biopolymere mit interessanten Eigenschaften entdeckt. Oder es finden sich eben neue Anwendungsgebiete für die Routiniers.
Die Mischung macht‘s
Den Biopolymeren wird nachgesagt, weniger funktional als ihre synthetischen Analoga zu sein. Wie auch? Es wäre eine Schande, wenn jahrzehntelange Forschungs- und Entwicklungsarbeiten nicht in hocheffizienten synthetischen Polymeren resultierten, die entsprechend »performen«.
Doch die Natur hatte auch lange genug Zeit, ihre Moleküle im Laufe der Evolution für ganz bestimmte Einsatzzwecke zu optimieren. Der Clou liegt also darin, geeignete Biopolymere mit der richtigen Expertise für die jeweilige Anwendung zu finden, zu isolieren oder – da darf es auch gerne Chemie sein – zu modifizieren. Es gilt sozusagen, die Disziplin (oder Position) zu finden, bei der die Stärken der Biopolymere zur Geltung kommen. Dies geht auch in Zusammenarbeit mit anderen Bio- oder eben auch synthetischen erdölbasierten Polymeren. Des Weiteren gibt es Anwendungen, die eben nur für hochfunktionelle synthetische Polymere in Frage kommen, bei anderen Anwendungen macht aber eher der Einsatz von Biopolymeren Sinn. Biologie und Chemie spielen sich hier gegenseitig den Ball zu.
Ein gutes Team besteht eben nicht nur aus einem einzelnen Spieler, je nach Aufgabe sind eben andere Typen gefragt. Die synthetischen Polymere haben ihren festen Platz im Team, vor allem, wenn man sich deren Weiterentwicklung in Sachen Funktionalität, Bioabbaubarkeit und Recyclingfähigkeit anschaut. So wurde die Recyclingquote des Plastikmülls, der vorwiegend aus diesen synthetischen erdölbasierten Polymeren besteht, seit 2006 mehr als verdoppelt. Und der landet eben nicht wie so viele alte Reifen auf den Kunstrasenplätzen der Republik.
Die streng definierten Grenzen zwischen synthetischen oder Biopolymeren verschwimmen sowieso zunehmend, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. So werden heutzutage immer häufiger biobasierte Bausteine mit Katalysatoren polymerisiert oder Biopolymere wie Cellulose chemisch modifiziert. Dahingehend ist die Polymerwissenschaft der Zukunft keine Einzelsportart, sondern eher Mannschaftssport [3]. Das Team ist der Star, bestehend aus Biotechnologen, Chemikern und Verfahrensingenieuren. Die Disziplinen arbeiten Hand in Hand um zu punkten.
Üben, üben, üben
Was ist schon Potenzial, wenn man es nicht abruft? Was nützt einem eine gute Saison, wenn man nicht hält, was man verspricht? Es gibt daher noch viel zu tun, um den Biopolymeren zur Höchstleistung zu verhelfen. Also an den Grundlagen muss man schon noch feilen. Was muss ich denn dem Mikroorganismus an die Hand geben, so dass sie möglichst große Mengen an PHA produzieren? Wie erhalte ich denn ein Chitosan aus den unterschiedlichsten Reststoffen, welches dennoch eine gleichbleibende Qualität verspricht? Um das Potenzial abzurufen, muss die Biologie durch Technik kontrolliert werden. Was aber noch besser ist: Um die maximale Leistung abzurufen, verbindet man Biologie und Technik – wie am Fraunhofer IGB eben. Es ist eben wie in jeder Sportart auch: Für den Erfolg muss man üben, üben, üben. Dabei ist aber auch das passende Umfeld wichtig: Den richtigen Coach finden sie aber bei uns – und die passenden Sparringspartner auch. Falls Sie daher interdisziplinäre Experten zu Herstellung, Gewinnung, Aufreinigung oder auch Modifikation von Biopolymeren wie auch das passende Einsatzgebiet suchen, sind sie bei uns richtig.
Danksagung
Ich danke dem BMEL für die Förderung in dem Projekt »BiPoTex« (FKZ: 2221NR012B), der Fraunhofer Gesellschaft für die Förderung im Rahmen von »La Chipur« (FKZ: SME 840 054) und danke ganz herzlich dem BMBF für die Förderung der Projekte »ExpandChi« (FKZ: 031B1047A), »Hydrofichi« (FKZ: 031B0341A), »ChitoTex« (031A567A) und SusPackaging (FKZ: 031B0371A).
Literatur
[1] Elias, S. A., Plastics in the Ocean, in: Dellasala, D. A., Goldstein, M. I. (Eds.), Encyclopedia of the Anthropocene, Elsevier, Oxford 2018, pp. 133-149.
[2] 2020.
[3] Abd-El-Aziz, A. S., Antonietti, M., Barner-Kowollik, C., Binder, W. H., et al., The Next 100 Years of Polymer Science. Macromol Chem Phys 2020, 221, 2000216.