Von Spülwasser zu Wasserstoff: Entfaltung von Upcycling-Potenzialen in der chemischen Industrie durch die mikroaerobe Fermentation mit Purpurbakterien im Projekt SmartBioH2

Der Biotechnologe Simon Krake gibt im Biointelligenz-Blog einen kurzen allgemeinen Überblick zum Thema Wasserstoff, zu den verschiedenen Herstellungsverfahren und zu den Forschungen an nachhaltigen biotechnologischen Alternativen am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB im Rahmen des Projekts SmartBioH2.

Um den Klimawandel aufzuhalten, hat sich Deutschland verpflichtet bis 2045 klimaneutral zu sein und sich von fossilen Rohstoffen unabhängig zu machen. Hierfür hat unsere Bundesregierung 2020 die nationale Wasserstoffstrategie ausgerufen. Diese sieht vor, dass die Wasserstoffkapazität bis 2030 auf 10 Gigawatt gesteigert wird und ein Leistungsnetz bis 2028 aufgebaut ist. Denn die Produktion von Wasserstoff stellt auf dem Weg zur Klimaneutralität eine Schlüsseltechnologie dar, da es Anwendungsfelder gibt, welche nicht oder kaum elektrifizierbar sind und zwingend auf Wasserstoff angewiesen sind. Darunter zählen beispielsweise der Schiffs- oder Schwerlastverkehr, bei denen elektrische Batterien derzeit noch eine zu geringe Reichweite bieten können, die Wärmebereitstellung für Hochtemperaturprozesse in der Chemie- und Stahlindustrie, bei denen durch Strom nicht effizient hohe Reaktionstemperaturen bereitgestellt werden können, oder die Herstellung von Ammoniakdünger.

Um die Produktionsziele der nationalen Wasserstoffstrategie zu erreichen, ist es sinnvoll, technologieoffen alle Ansätze zu verfolgen und die grüne Wasserstoffproduktion zu diversifizieren. Beispielsweise wird es zunächst Gegenden geben, welche nicht unmittelbar an das Wasserstoffnetz angebunden sind. Deshalb müssen auch lokale Möglichkeiten der Wasserstoffherstellung in Betracht gezogen werden, hierbei kann die Erforschung der orts- und tageszeitunabhängigen biotechnologischen Wasserstoffherstellung aus Reststoffströmen wie im Projekt SmartBioH2 einen wichtigen Beitrag leisten.

Wie kann Wasserstoff hergestellt werden und warum ist Wasserstoff nicht gleich Wasserstoff?

Wasserstoff wird anhand von Farben unterschieden, wobei die Farbe Auskunft über die Herstellungsbedingungen und CO2-Emissionen während der Produktion gibt. Im Laufe der Jahre wurden dabei immer neue Farben definiert, die wichtigsten sind jedoch der graue Wasserstoff, bei dem Wasserstoff durch die Dampfreformierung unter hohem CO2-Ausstoß hergestellt wird, blauer Wasserstoff, bei dem Carbon-Capture-Technologien eingesetzt werden, um das entstehende CO2 zu binden, und den klimaneutralen grünen Wasserstoff. Grüner Wasserstoff wird durch eine komplett klimaneutrale Herstellung definiert, beispielsweise durch die mit erneuerbaren Energien betriebene Elektrolyse oder die biotechnologische Wasserstoffherstellung wie in diesem Projekt, bei der zwar CO2 bei der Fermentation entsteht, dieses aber durch eine Kopplung mit einem Algenreaktor gebunden wird.

Die biotechnologische Wasserstoffherstellung mit Rhodospirillum rubrum: Auf die Bedingungen kommt es an

Bei der biotechnologischen Wasserstoffherstellung mit Purpurbakterien gibt es bisher zwei erforschte Wege, beide finden nur unter Ausschluss von Sauerstoff statt. Die Photofermentation, bei der Bakterien durch photosynthetische Membranen Licht aufnehmen und in Energie konvertieren können. Diese Energie kann das Bakterium nutzen, um mit dem Enzym Nitrogenase Stickstoff aus der Luft in Form von Ammoniak zu fixieren. Somit wird der Stickstoff bioverfügbar und kann zum Bakterienwachstum genutzt werden. Als Nebenprodukt entsteht bei der Reaktion Wasserstoff und wird von dem Bakterium abgegeben. Die zweite Möglichkeit ist die Dunkelfermentation, bei der Zucker, organische Säuren oder Alkohole verstoffwechselt werden und innerhalb der Glykolyse durch das Enzym Formiat-Hydrogen-Lyase aus dem Zwischenprodukt Ameisensäure CO2 und Wasserstoff hergestellt wird.

Das Purpurbakterium Rhodospirillum rubrum kann dabei unter sauerstofffreien Bedingungen Wasserstoff mit Licht über die Photofermentation oder im Dunkeln über die Dunkelfermentation produzieren. In diesem Projekt war das Ziel jedoch ein Mittelweg beider Prozesse, die so genannte Dunkelphotosynthese oder mikroaerobe Dunkelfermentation. Dieser Zustand ist bisher nur bei diesem Bakterium entdeckt und beschrieben worden, Rhodospirillum rubrum. Dabei wird dem Bakterium nur so viel Sauerstoff gegeben, dass der Stoffwechsel auf der Grenze zwischen einer Atmung mit Sauerstoff und einer Fermentation ohne Sauerstoff liegt. Dieser Zustand wird auch mikroaerob bezeichnet. Dabei kann das Bakterium unter diesen Bedingungen Membranen bilden, wie sie bei der Photofermentation vorkommmen, obwohl die Fermentation nach wie vor im Dunkeln stattfindet. Dies hat den Vorteil, dass Wasserstoff einmal durch den Produktionsweg der Dunkelfermentation, aber teilweise eben auch über die Photofermentation hergestellt werden kann. Dabei kommt die für die Reaktion benötigte Energie allerdings nicht durch die Sonne oder eine künstliche Beleuchtung, sondern wird durch die Verdauung von verschiedenen Nährsubstraten, wie z. B. Ethanol, erreicht.

Für die Steuerung des Prozesses sind zwei Parameter in der Prozessführung besonders wichtig: Der Sauerstoffpartialdruck und das Redoxpotential. Der Sauerstoffpartialdruck beschreibt den gelösten Sauerstoffanteil in der Fermentationsbrühe, das Redoxpotential die Balance zwischen Oxidationen und Reduktionen bei biochemischen Reaktionen. Für die Fermentation bedeutet das, dass einerseits der Sauerstoffpartialdruck präzise geregelt werden muss, um einen stabilen, mikroaeroben Zustand der Bakterien zu gewährleisten. Andererseits muss ein sehr reduziertes Redoxpotential vorliegen, um die Reaktionen der wasserstoffproduzierenden Enzyme zu begünstigen.

Die Umsetzung des Prozesses im Demonstrator-Maßstab

Als Nährsubstrat für das Projekt SmartBioH2 wurden ethanolhaltige Spül- und Waschwässer aus der Chemieindustrie eingesetzt, ein Nebenstoffstrom, welcher bisher meist zur Energiegewinnung verbrannt oder in Abwasseranlagen verarbeitet wird. Durch die Wahl solcher Nebenstoffströme wird eine Konkurrenz zur Nahrungsproduktion wie beispielsweise bei Biogasanlagen verhindert. Ziel des Projekts SmartBioH2 war die Anpassung des Bakteriums an den Nebenstoffstrom, die Entwicklung eines Prozesses im Bioreaktor zur Produktion von Wasserstoff und der . Auf dem Weg dorthin wurde die Eignung der Substratströme evaluiert, um zu bewerten, ab welchen Konzentrationen die Alkohole toxisch für das Bakterium sind, und daraufhin das Fermentationsmedium angepasst. Anschließend erfolgte eine Übertragung in einen kleinskaligen Bioreaktor, ein System, in dem optimale Umgebungsbedingung zum Wachstum der Bakterien eingestellt werden können. Hierbei war insbesondere die Einstellung und Etablierung von Regeltechniken und Analysesysteme zur Messung von Wasserstoff der Fokus der Forschung. Anschließend wurde eine Wasserstoffproduktion erzielt und ein Prozessschema zum Betrieb eines Demonstrators entwickelt.

Beim Betrieb des Demonstrators wird zunächst in einem sogenannten Seed-Reaktor das Bakterium kultiviert, um genug Biomasse für das Animpfen des Demonstrators aufzubauen. Der Prozess im Produktionsreaktor verläuft anschließend in zwei Phasen: Als erstes soll aerob erstmal eine hohe Zelldichte erreicht werden. Dabei wird das ethanolhaltige Spülwasser und Fructose als Nährsubstrat vorgelegt, das Bakterium wächst, verbraucht Sauerstoff und der Sauerstoffpartialdruck sinkt. Sobald das Substrat aufgebraucht ist, wird auch kein Sauerstoff mehr verbraucht, erkennbar an einem plötzlichen Anstieg des Sauerstoffpartialdrucks, dem sogenannten „Hungerpeak“. Daraufhin gibt die Regelung automatisch eine konzentrierte Substratlösung zu und das Bakterium wächst weiter. Dadurch wurden in diesem Schritt Zelldichten von bis zu 35 g/L Zelltrockenkonzentration erzielt. Dieser Prozessschritt wird aerob durchgeführt, da so höhere Wachstumsraten erreicht werden können und damit hohe Zelldichten in kürzerer Zeit ermöglicht werden.

Sind die hohen Zelldichten erstmal erreicht, wird die Dunkelphotosynthese durch eine Limitierung der Begasung mit Luft im Bioreaktor erreicht. Das Bakterium fängt an, photosynthetische Membranen zu bilden, färbt sich durch das in den Membranen befindliche Bacteriochlorophyll rot und produziert Wasserstoff und CO2. Die Abgase werden dann in den Algenreaktor geleitet, in dem das entstehende CO2 durch die Mikroalgen gebunden wird – und der Wasserstoff somit die Bedingung einer klimaneutralen Herstellung erfüllt.

Die biotechnologische Wasserstoffherstellung als Anlagenteil im Projekt SmartBioH2

Bei der Kopplung eines Fermenters an einen Algenreaktor entsteht eine Vielzahl an Herausforderungen: Wie kann ein Anschluss realisiert werden, wie reagiert der Algenreaktor auf Änderungen in den Abgasmengen, Drücken und der Abgaszusammensetzung? Denn am Anfang einer Fermentation ist beispielsweise der CO2-Gehalt in der Abluft geringer als bei höheren Zelldichten, oder die Begasung und damit auch die Abgasmenge variiert während des Prozesses.

Mit diesem Projekt wurde ein erster Schritt hin zur Skalierung einer biotechnologischen Wasserstoffproduktion getan und erprobt, wie verschiedene Anlagenteile innerhalb einer Bioraffinerie zusammenarbeiten. In Zukunft ist vor allem hinsichtlich der Steigerung der Wasserstoffausbeute weitere Forschung notwendig.

Das Projekt SmartBioH2 ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie am Fraunhofer IGB Verwertungsstrategien für Rest- und Abfallstoffe erschlossen werden. Haben Sie auch Bedarf an einem umweltfreundlichen und wirtschaftlichen Upcycling von Abfallprodukten? Sprechen Sie uns an!

Die Projektpartner

  • Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB (Koordination)
  • Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
  • Universität Stuttgart, Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme IBBS
  • Universität Stuttgart, Institut für Energieeffizienz in der Produktion EEP
  • Evonik Operations GmbH (assoziierter Partner)

Weitere Informationen zum Projekt

SmartBioH2-BW – Biowasserstoff aus industriellen Abwasser- und Reststoffströmen als Plattform für vielseitige Biosynthesewege

Förderung

Das Projekt »SmartBioH2-BW – Biowasserstoff aus industriellen Abwasser- und Reststoffströmen als Plattform für vielseitige Biosynthesewege« wird von Oktober 2021 bis Oktober 2024 durch das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg im Rahmen des EFRE-Programms »Bioökonomie – Bioraffinerien zur Gewinnung von Rohstoffen aus Abfall und Abwasser – Bio-Ab-Cycling« gefördert.

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