Was haben ein Dinosaurierschädel und ein Auto gemeinsam? Auf den ersten Blick erst einmal wenig. Doch der Schein trügt: Wie bei so vielen Dingen kann man einiges von der Natur lernen. Zum Beispiel wie man einen Dinosaurierschädel als Vorbild für einen Leichtbauroadster nutzen kann – und das auch noch umweltschützend und nachhaltig! Die bionische Entwicklungsmethodik macht es möglich.
Natur als Vorbild
Die Grundidee für das Dino-Car stammt aus der Motivation, Automobile der Zukunft nicht nur umweltschonender in der Herstellung, sondern auch im alltäglichen Betrieb zu gestalten. Das heißt, der Verbrauch und die Emissionen müssen im kompletten Zyklus verringert werden. Das kann man unter anderem durch die Verringerung des aerodynamischen Widerstands und des Fahrzeuggewichts erreichen.
In den letzten Jahren wurde auf diesem Gebiet viel erreicht – die Potenziale des konventionellen Leichtbaus sind in der Automobilbranche weitgehend ausgeschöpft. Allerdings zeigen neue Studien aerodynamische Möglichkeiten, den Luftwiderstand eines Fahrzeugs zu reduzieren. Wichtig ist dabei, den optimalen Kompromiss zwischen dem aerodynamischen Grundkörper und dem Insassenraum zu finden.
Einen Blick in die Welt der Fische, insbesondere des Kofferfischs, brachte verblüffende neue Erkenntnisse hinsichtlich geringer Strömungswiderstände. Die Natur zeigt uns eines: Die an sie gestellten Anforderungen löst sie stets mit einem Minimum an Energie- und Materialeinsatz. Gute Voraussetzungen, welche uns auch in puncto Leichtbau von Automobilen weiterhelfen.
Die Innovation geht bei Fahrzeugkonzeptionen aufgrund konventioneller Karosseriestrukturen eher schrittweise voran. Wir orientieren uns daher an der bionischen Entwicklungsmethodik.
Die Methode
Die bionische Entwicklungsmethodik zeichnet sich prinzipiell durch zwei Wege aus: top-down und bottom-up.
Bei der Top-down-Methodik liegt eine konkrete technische Problemstellung vor, die als Ausgangspunkt dient. Beim Auto sind das in der Regel Komponenten, die beispielweise kleiner oder leichter werden sollen. Anschließend wird das Problem verallgemeinert und in eine Sprache übersetzt, mit der man in der Biologie nach geeigneten Vorbildern suchen kann. Ziel ist es, einen möglichst großen Recherchebereich aufzuspannen. Meist müssen nach der Recherche von gefundenen Beispielen zusätzlich eigene Untersuchungen unternommen werden, um konkrete Fragen von Technikern zu beantworten. Die Analyse muss zum Verständnis des Prinzips führen und zu einem Modell verdichtet werden. Dann kommen immer mehr Ingenieure ins Spiel, welche die Erkenntnisse in die Komponenten-Entwicklung einfließen lassen und mit technischen Materialien umsetzen.
Die zweite Herangehensweise ist die Bottom-up-Methode. Dabei wird ein Phänomen in der belebten Natur entdeckt, analysiert und in ein Modell übersetzt. Danach folgt die Suche nach Analogien in der Technik, um herauszufinden, wo dieses Modell Anwendung finden könnte. Die einzelnen Schritte sind also im Vergleich zur Top-down-Methode genau umgekehrt. Der zweite Prozess erweist sich allerdings als schwieriger, da der Bedarf für die Anwendung noch unklar ist. Die adäquate Anpassung an die finale Anwendung ist dann Fleißarbeit des Technikers.
Wenn man nun die innovative Entwicklungsmethodik ganzheitlich betrachtet, geht man von einem Gesamtsystem aus, in dem sich die separaten Baugruppen mit Leichtbautechniken befinden – dieses Gesamtsystem liefert der Saurierschädel.
Bioinspiration für das Dino-Car
Im Falle unseres Dinosaurierschädels liegt die Bottom-up-Methode am nächsten. Denn es besteht kein konkretes Problem, für das wir Abhilfe suchen. Vielmehr haben wir Analogien in einem natürlichen Phänomen entdeckt– funktionale sowie geometrische Parameter –, die wir mit einer Zielvorstellung abgleichen möchten. Führen wir uns einen Dinosaurierschädel vor Augen, können wir uns mit etwas Phantasie vorstellen, wie er beim Kampf mit Artgenossen ähnliche Belastungen aushalten musste, wie die Fahrgastzelle eines heutigen Fahrwerks bei einem Unfall. In seiner schwammartigen Schnauze sehen wir die Crashbox eines Fahrzeugs, seine kräftigen Kieferknochen assoziieren wir mit dem Seitenaufprallschutz und die gehirnschützenden Längs-Querbügel könnten als Überrollschutz für Passagiere fungieren. Interessant sind auch die inneren Versteifungen des Saurierschädels und die verschiedenen Materialdichten der einzelnen Stützwände und der Außenschale.
Multifunktionalität als Konstruktionsprinzip
Eines der häufigsten Bauprinzipien in der Natur ist die Multifunktionalität: Jedes Organ hat mehrere Funktionen und stellt damit auch gewissermaßen einen Kompromiss aller Funktionen dar. Dahinter steckt das fundamentale Prinzip der Materialersparnis – die Natur arbeitet also stets nachhaltig und umweltschonend.
Wenn wir nun aber die Bauart heutiger Fahrzeuge betrachten, fällt das Gegenteil auf: Ein einzelnes technisches Bauteil führt meist nur ein oder zwei Funktionen gleichzeitig aus. Um alle Funktionen zu erfüllen, bedarf es in der Technik dementsprechend mehrerer Einzelkomponenten. Insbesondere Automobile bestehen deshalb aus einer Vielzahl von (Blech-)Teilen – alles andere als nachhaltig.
Der Wunsch von Fahrzeugentwicklern besteht also darin, viele Einzelteile zu einem Großteil mit hohem Integrationsgrad zusammenzufassen. Das ist aber leichter gesagt als getan, denn dafür müssen der 3D-Druck, Metallverarbeitungen und das Gießen großer Teile weiterhin verbessert werden. Ansätze der Weiterentwicklungen zeichnen sich ab, wie das in 2018 von VW errichtete 3D-Druckzentrum. Weitere an Popularität gewinnende Bauprinzipien sind u. a. integrierte statt additive Konstruktion, Modularität, Optimierung des Ganzen statt Maximierung eines Einzelelements und Energie- und Materialeinsparung.
Analyse des Simosaurus
Um nun den gesamten Prozess vom Dinosaurierschädel zum Automobil schrittweise nachvollziehen zu können, betrachten wir zunächst die Beschaffenheit des Schädels. In diesem Fall handelt es sich um den eines Simosaurus. Dann treffen wir daraus drei Ableitungen und schließen zu jeder Ableitung noch eine Untersuchung an.
Über den Simosaurus gaillardoti ist Folgendes bekannt:
- Das Reptil war sehr erfolgreich – es hat über einen Zeitraum von 125 Millionen Jahren im Meer gelebt und starb wie alle Dinosauriers wegen des Meteoriteneinschlags vor 65 Millionen Jahren aus. Simosaurus lebte also 24 Mal länger als der Mensch bisher den Planeten bewohnt – ein echtes Erfolgsmodell!
- Seine ziemlich stumpfen Zähne weisen darauf hin, dass der Simosaurus hartschalige Organismen wie Ceratiten und Holostean-Fische gefressen hat. Das bedeutet, dass starke Kräfte erforderlich waren und dass die Kreatur extrem steife Knochen mit einem hohen Biegewiderstandsmodul besaß. Trotzdem hatte das Reptil einen ziemlich langen, flachen Kiefer und einen relativ kurzen Adduktor-Muskel, mit dem es seinen Kiefer zuschnappen ließ.
- Vermutlich hatte Simosaurus keine Feinde, aber er hatte wie alle rezenten Reptilien Rivalenkämpfe auszufechten. Wie bei den meisten Kreaturen ist dabei evolutiv der Schutz des Gehirns sehr wichtig gewesen. Tiere mit Schädeln, die zu schwach waren, starben in der Evolution aus.
Aus diesen Beobachtungen folgen drei Ableitungen:
- Simosaurus hatte als aquatisch lebender Saurier gute strömungsdynamische Eigenschaften.
- Der Schädel weist hohe Impactresistenz auf.
- Die großen Schädelöffnungen sind Hinweise auf Ansatzpunkte kräftiger Muskeln, die zum Fressen notwendig waren. Diese Öffnungen ergeben die Funktionalitäten des Autos: Fahrgastzelle und Motorraum.
Diese Ableitungen nehmen wir jetzt genauer unter die Lupe:
- Um die Aerodynamik des Saurierschädels genauer zu untersuchen wurden CT-Aufnahmen gemacht und daraus ein Volex-Modell zur weiteren Bearbeitung und Simulation erstellt. Die Kopfform legt nahe, dass auch die Karosserie des Fahrzeugs gute aerodynamische Eigenschaften aufweisen sollte.
- Die Schädelstruktur ist so konzipiert, dass sie einer gleichmäßigen Belastung der Muskelkräfte auf die gesamte Struktur standhält. Des Weiteren wurden bei dynamischen Crashsimulationen des Schädels bei Frontal- und Seitencrash gute Ergebnisse erzielt. Dies ist eine gute Voraussetzung, um eine passive Sicherheit im Auto zu erreichen – insbesondere im Bereich der Augenhöhlen des Schädels, wo sich später die Beine der Fahrgäste befinden würden.
- Die Kräfte auf die Kieferknochen wirken ähnlich wie die Kraftspitzen auf das Fahrwerk, weshalb Ansatzpunkte der Muskeln rekonstruiert und von Paläontologen analysiert wurden. Auch Videofrequenzen von Krokodilen beim Fressen von Schildkröten waren hilfreich und relevant für die Untersuchungen: Der Schädel eines Krokodils ähnelt dem des Simosaurus und Schildkröten waren mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine häufige Beute für den Dinosaurier. Dabei konnten vier verschiedene Fressschritte bzw. Kieferbelastungen identifiziert werden. Unterschiedliche Fahrbahnbeschaffenheiten erzeugen schlagartige Belastungen auf das Fahrzeug, ähnlich wie beim Beuteschnappen. Somit wurden die Schädelmuskulatur und deren Wirkungsrichtungen auf das Fahrzeugkonzept übertragen.
Unter Berücksichtigung all dieser Beobachtungen und Untersuchungen ist der Schädelaufbau also logisch nachvollziehbar und erklärbar. Diese universellen Konstruktionsprinzipien werden nun auf das Auto übertragen, um mit möglichst wenig Materialeinsatz eine hohe Widerstandsfähigkeit zu erreichen.
Technische Umsetzung und Ergebnisse von Crashsimulationen
Der letzte und definitiv nicht zu unterschätzende Schritt ist die technische Umsetzung. Die anhand der Struktur des Simosaurierschädels gemachten Beobachtungen haben wir mit den Fahrgestellabmessungen (Radstand, Fahrzeugbreite und Fahrzeughöhe) kombiniert. Die ersten Fahrzeugentwürfe wurden dann mithilfe eines Menschen- und eines Fahrzeugmodells an einem Reißbrett konstruiert. Für die Dimensionierung orientierten wir uns an der größten Passagiergruppe, am Mann mit kleiner oder gleich 185,5 cm.
Auf Basis des Bauplans und des Kartonmodells haben wir im Anschluss zwei parametrische CAD-Modelle erstellt und nach mehreren durchgeführten Crashsimulationen mit einer starren Barriere nach Vorschriften des »European New Car Assessment Programme« (Euro NCAP) optimiert. Die Ergebnisse waren positiv, da die Lastverteilung auf der Struktur relativ gleichmäßig war. Trotz einer Simulationsdurchführung ohne energieabsorbierende Crashbox und stabilisierende Türen wurde die Fahrgastzelle nicht signifikant deformiert. Das Fahrzeugkonzept passt sich also der Schädelbelastung an und sorgt dafür, dass das Chassis nicht überlastet wird. Die Stabilität des Schädels dient als ausgezeichneter Schutz gegen dynamische Kräfte, was ebenfalls in den Crashsimulationen nachgewiesen werden konnte. Allerdings wären bei konventionellen Zweisitzern Türen essenziell für die Stabilität des Fahrzeugs und zum Bestehen des NCAP gewesen.
Nachhaltige Innovationssprünge mit Ideen aus der Natur
Biointelligenz beschreibt die Verknüpfung von Technik mit Informationstechnik und Biologie. Biologie ist nur dann wirksam, wenn das Wissen darin angewandt wird. Die drei Schwesterprinzipien, welche Biologie in Anwendung bringen, sind die Bionik die Biotechnologie und die Bioökonomik. Bisher arbeiteten diese drei Bio-Disziplinen getrennt voneinander – die Neuheit besteht nun darin, Produktionsprozesse und Produkte unter Beachtung aller drei Disziplinen zu entwickeln. Gelingt dies, kann sich das bisherige Vorgehen der Bionik insofern ändern, dass die Umsetzung der Leichtbauidee nicht mehr nur mit den technischen Materialien erfolgt, sondern mit alternativen biogenen oder bioabbaubaren Materialien. Dafür wären gänzlich andere Herstellungsprozesse notwendig, wie beispielsweise additive Prozesse. Zudem könnten Rohstoffe dafür extra über biotechnologische Verfahren hergestellt werden. Letztendlich bedeutet das, dass der ökologische Fußabdruck im Vergleich zu bisherigen Produkten eindeutig besser wird – und somit enormes Potenzial für eine nachhaltige Zukunft in der Automobilbranche besteht.
Sie haben Ideen und Anregungen zu unserem biointelligenten Conceptcar? Dann melden Sie sich gerne bei mir. Lassen Sie uns gemeinsam die Zukunft ein Stückchen biointelligenter machen.